Übersicht
Unternehmen: Weltweit operierende Caféhaus-Kette Starbucks
Ort: Überwiegend aktiv in den USA, aber auch in anderen Teilen Nordamerikas und Europa
Besonderes: Unter dem Namen „Starbucks Workers Union“ gingen KollegInnen im Jahr 2005 in New York City an die Öffentlichkeit. Bekannt wurde die IWW unter anderem wieder durch den welweiten Aktionstag gegen Repression bei Starbucks am 05. Juli 2008. Machte die IWW um 2006/2007 wieder weltweit bekannt und zeugte davon, dass sich ArbeiterInnen in schwer organisierbaren Bereichen ebenfalls organisieren können.
Eine gekürzte Version erschien bereits in: Express – Zeitung für sozialistische Betriebsarbeit 05/2015.
Jahre: 2004 – bis Heute
Branche:
Weiterführende Infos:
www.starbucksunion.org
Wikipedia
Auswertungsbroschüre auf Deutsch
Erfahrungsbericht
Von Erik Forman.
Über die Organisierung bei Starbucks in Minneapolis (Minnesota)
„Ok, welche Ausfahrt ist es?“
„494, richtig?“
„Scheiße, Alter. Ich weiß es nicht!“ Normalerweise nehme ich die U-bahn zur Arbeit.“
„Verdammt nochmal. Wie spät ist es? 12:30 Uhr. Scheiße. Wir haben gesagt, das wir 12:30 Uhr da sein werden.“
„Um Himmels willen! Weißt du ob Rachel und Christina schon da sind?“
„Keine Ahnung. Schau mal auf mein Handy. Haben sie mir geschrieben?“
Ich fischte mein Handy aus der Tasche, das Lenkrad umklammernd, als der Dodge Karavan der Tante meines Kollegen den Highway entlang donnerte.
Wir hatten keine Ahnung wo wir lang fuhren und nur den leisesten Hauch einer Ahnung, was wir machen würden, wenn wir ankommen.
„Bleibt ruhig, Leute,“ sagte Jake vom Rücksitz aus. „Ich habe Rachel gerade geschrieben, sie verspäten sich auch. Wir können sie um 12:45 Uhr treffen. Falls wir bis dahin die Mall of America finden.“
Das einzige Problem war nur: Niemand von uns hatte so etwas je zuvor gemacht.
Ich arbeitete bei Starbucks in der Mall of America seit ungefähr 6 Monaten. Die Arbeitsbedingungen waren so, wie man sie erwarten würde: 8 Stunden nonstop Getränkeproduktion und Kundenkontakt, mit Schlangen die bis vor die Tür reichten.
Zehn Minuten Pausen, die aufgrund des Personalmangels anscheinend immer Stunden zu spät kamen. Das einzig Gute an der Arbeit in diesem Frappuccino-Sweatshop war die Kameradschaft, die sich unter uns LohnsklavInnen im Alter zwischen später Pubertät und Anfang der 20er Jahre entwickelt hatte. Die letzten Monate über, hatten wir uns außerhalb der Arbeit getroffen, oftmals mit zu viel Bier, doch planten wir ebenso mit wachsender Ernsthaftigkeit Kampagnen um unsere Forderungen durchzusetzen. Wir waren Teil der IWW Starbucks Workers Union und wir hofften ein wenig darauf unsere kleine Kaffeefabrik zu einem Standbein der ArbeiterInnenmacht in der Mall of America machen zu können.
Zwei Tage vorher, platzte Jake in ein Organizer-Training, das die IWW gerade organisierte. Noch atemlos vor Aufregung, erzählte er uns, dass ihm beim Verlassen des Ladens, die Chefin von Starbucks mitteilte, er solle seine Kündigung einreichen. Sie begründete es mit seinem Zu-spät-kommen. Er hatte ihr bereits erklärt, dass ein winterlicher Schneesturm den öffentlichen Verkehr zum Erliegen gebracht hatte: Es war nicht sein Fehler.
Nur unsere Chefin wollte das nicht verstehen. Sie wollte, dass er geht. Vielleicht versuchte sie die Löhne zu kürzen, da das Geschäft nach den Feiertagen wieder schlechter lief. Oder sie setzte zum Vergeltungsschlag nach unserer letzten Aktion am Arbeitsplatz an, die wir vor ein paar Wochen gemacht hatten.
Es war ein paar Monate her, als Starbucks sich weigerte die Anfrage des Kollegen José zu beantworten, der sein Arbeitsvisum gerne verlängern hätte lassen. Wir schrieben einen gemeinsamen Brief in dem wir die Firma fragten, ob sie ihm mit seinen Papieren helfen könne, andernfalls würde er abgeschoben werden. Nach dem wir wochenlang gewartet hatten, bekam er erst einen Anruf aus der Personalabteilung nachdem wir in das Regionalbüro ein Fax geschickt hatten. Wir hatten ihre Aufmerksamkeit.
Das Ergebnis unserer Aktion war ein Treffen mit der Bezirksleiterin Caroline Kaker. Sie sagte uns, dass Starbucks seinen MitarbeiterInnen nicht mit Arbeitsvisa helfen würde, dem Standard der Anti-Immigrationsindustrie folgend. Wir verloren den Kampf um José. Doch eine Woche nach dem Treffen mit Caroline hatten wir ein neues Thema an der Hand.
***
„Lasst uns nochmal durchgehen was wir sagen werden“, sagte ich. Wir würden uns nicht einfach platt machen lassen und eines unserer wichtigsten Mitglieder aus unserem Organizing-Komitee verlieren. Der Dodge Karavan war unser persönlicher gepanzerter Fahruntersatz; wir steuerten direkt zur Mall um einen Gegenangriff zu starten. Das einzige Problem war nur: Niemand von uns hatte so etwas je zuvor gemacht. Für uns war die Solidarität unter ArbeiterInnen wie ein Glaubensbekenntnis. Wir waren auf dem Weg diesen Begriff mit Leben zu füllen.
Mein Kollege Sam, ein angenehm ruhiger und höflicher Riese, sprach zuerst. „Ich fange an, richtig? Was sage ich nochmal?“
Früher am morgen hatten wir uns mit einem erfahreneren Kollegen der IWW getroffen, um zu planen was wir sagen würden. Aber es war alles ein wenig überstürzt und wir konnten uns nur schwer daran erinnern, welchen Sachen wir zugestimmt hatten. Und wir hatten alle Angst.
„Die Hauptsache ist, sie davon abzubringen was sie vorhat und stattdessen zuhört. Das heißt, ihr könnt eigentlich sagen was ihr wollt.“, sagte ich. „So, lasst uns üben. Du fängst an.“
Für ein paar Sekunden war es still.
„OK. J-J-. J-J-.J-J-J-Jenny? W-W-Wir sind hier wegen Jake’s Kündigung.“ Sam stotterte.
Das würde nicht funktionieren.
„Das war ein guter Anfang. Lasst uns vorsichtig sein und nicht sagen, dass Jake bereits gefeuert wurde. Wir wollen grundsätzlich Jenny in Schock versetzen und sie ins Wanken bringen, damit sie die Kündigung nicht durchzieht. Sie erstellt den Dienstplan heute. Ich meine, wir haben alle Angst und wir sind diejenigen, die das hier planen. Wir werden sie darüber kriegen, dass wir sie überraschen. Sie wird verdammt verängstigt sein“, sagte ich. „So, wie wäre es mit – ‚Wir sind hier weil wir uns alle um Jake Sorgen machen. Er ist ein wichtiger Teil des Teams und wir wollen sicher gehen, dass er auch ein Teil des Teams bleibt.‘?“
„DAS klingt gut.“,sagte Sam.
„Super, dann werden wir alle ein paar Dinge darüber sagen, wie sehr wir es mögen, mit Jake zu arbeiten und dann kann ich die Forderung stellen, dass er weiterhin seinen Job behält. Wie klingt das?“
„Yeah, lass uns das machen.“
„Super, willst du nochmal üben?“
„Jenny, wir sind hier wegen Jake. Wir arbeiten mit Jake und wir mögen ihn.“
***
Wir enterten die Mall. 12:45 Uhr. Später als wir geplant hatten. Wenn das zu spät war, dann wäre der Schichtplan bereits geschrieben worden und Jake nicht eingeteilt. In diesem Fall hätten wir einen größeren Kampf vor uns.
Wir drei stapften aus dem Van und drängelten die Treppen hinauf. Wir trafen zwei andere KollegInnen – Rachel und Christina – bei der U-Bahn auf der zweiten Etage der Mall, gleich oberhalb der Starbucks-Filiale.
„Hey Leute!“ Christina winkte uns, als wir an der U-Bahn Station ankamen.
„Wie geht’s?“
Christina war noch relativ neu in der Filiale. Wir dachten, dass sie ein Spitzel der Geschäftsführung sei, weil sie so heiß darauf war mit uns allen nach der Arbeit rumzuhängen. Es stellte sich heraus, das sie einfach nur gerne feiern ging.
„Ach weißt du, in Ordnung. Bin ziemlich angepisst, dass sie versuchen Jake zu feuern.“ Christina hatte noch nicht zugestimmt mit zu machen. Wir hofften, dass wir sie mitreißen könnten, wenn wir ihr kurz sagen worum es geht. Sie war neu und hatte noch nicht so viel Zeit die negativen Seiten der Arbeit kennenzulernen, außerdem plante sie so schnell wie möglich einen neuen Job in der Buchhaltung zu bekommen. Es war ein Lotteriespiel, ob sie sich uns anschließen würde oder nicht.
Sie war in der Mall an ihrem freien Tag einkaufen.
Unsere Kollegin Rachel antwortete: „So, was genau ist jetzt passiert? Du wurdest gefeuert, Jake?“
„Lasst uns hinsetzen und darüber quatschen“, sagte ich und setzte mich an einem langen Tisch neben der Tür. Ich blickte kurz zu den ArbeiterInnen hinter dem Fahrkartenschalter der U-Bahn. Vielleicht wäre es gut, wenn sie mithörten. War vielleicht jemand von denen selbst ChefIn? Zu spät um sich darum Sorgen zu machen.
„Jake, magst du erklären worum es geht?“, fragte ich.
„Ja, klar. Könnt ihr euch grundsätzlich daran erinnern wie am Samstag nach dem großen Schneesturm alle Busse und Züge Verspätung hatten? Also, ich kam ein bisschen zu spät und im Laufe meiner Schicht nahm Sie mich zur Seite und sagte mir, ich hätte zu kündigen! Könnt ihr euch das vorstellen?“
Ich beobachtete den Ausdruck in den Gesichtern von Rachel und Christina. Waren sie überzeugt? Sympathisierten sie mit uns oder standen sie im Zweifel auf der Seite der Chefin? Wir waren alle FreundInnen, es wäre also hart sich gegen Jake und den Rest von uns zu stellen. Nur: Die Idee sich der Entscheidung der Chefin zu widersprechen, war für die beiden undenkbar.
„Hmm… hast du vorher angerufen?“ fragte Rachel. Rachel war die Liberale. Sie studierte Chemie an der Universität und war stolz darauf in Diskussionen immer in der Mitte zu stehen. Ich spürte meinen Blutdruck bis zum Anschlag.
„Wurdest du vorher schon mal aufgeschrieben?“ Ich mischte mich ein und versuchte die Diskussion zu drehen, so dass Jake die Antwort geben könnte, die ich erwartete.
Jake gab Rachel eine zögerliche Antwort: „Ehrlich gesagt, nein. Sollte ich aber. Ich war eine halbe Stunde zu spät. Aber ich bin bisher nie zu spät gekommen und ein Haufen Leute haben sich letztens auch verspätet. Die haben auch nicht vorher angerufen.“
„Wenn ich weiß, dass ich zu spät komme, rufe ich vorher an“, sagte Rachel leicht herablassend. „Aber ich bin wirklich überrascht, dass sie dich wegen einmal zu spät kommen feuern wollen.“
„Ich weiß, das ist nicht besonders professionell, oder? Wir sollten ein fortschrittliches Disziplinarsystem haben, richtig?“ sagte ich. Es sah aus, als wenn Rachel umzingelt sei. Skeptisch würde sie mitkommen, normalerweise reagierte sie auf die Idee, dass das Management fair und ‚professionell‘ sein sollte. Und uns lief die Zeit davon um die Aktion zu machen; die Chefin würde den Arbeitsplatz bald verlassen. Der Dienstplan war vielleicht schon erstellt.
Mein Handy vibrierte in der Tasche, ich klappte es auf. Es war eine Nachricht eines Kollegen, der gerade arbeitete.
Scheiße. „Sie ist gerade raus!“, sagte ich zu den anderen.
„Hey Leute!“ Jenny’s fröhlicher Gruß traf uns wie eine Pistolenkugel. Ich fühlte meinen Adrenalinpegel steigen, ’siegen oder fliegen‘-Instinkte ergriffen Kontrolle von mir. Ich drehte mich um und sah unsere Chefin in der Tür der U-Bahn stehen, ihr Pelzmantel war nur leicht verschwommen erkennbar.
Unsere Chefin stolperte auf den Präsentierteller. Sie hatte uns kalt erwischt.
„Jenny!“ rief ich mit überschwänglicher Energie, „Schön dich zu sehen!“.
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig von heiter auf verwirrt, als sie Jake, ihr Ziel, umringt von vier KollegInnen sah – die Hälfte der Belegschaft.
Meine Gedanken rasten. Option 1: Tue so, als wenn nichts wäre. Dann treffen wir uns morgen wieder und probieren es, oder in den nächsten Tagen. Aber das wäre zu spät. Ab jetzt standen wir unter Beobachtung. Außerdem fühlt es sich schwach an, dass sie unsere geheime Organisation aufdeckt und wir nicht in die Offensive gehen. Alle wären wahrscheinlich verängstigt und wir würden an Dynamik verlieren.
Option 2: Wir stellen unsere Forderung jetzt sofort, auch wenn wir nicht voll vorbereitet waren und nicht alle zugestimmt hatten mit zu machen.
„Wir müssen reden!“, sagte ich entschlossen. Das war nur improvisiert.
Ich traf eine Entscheidung.
„Jenny, setz dich doch bitte zu uns.“.
Ich schaute rüber zu Sam, der meinen Blick verwirrt erwiderte. Ich gab ihm ein Zeichen und hoffte er würde seinen Einsatz nicht verpassen, sondern loslegen. Aber er schaute nur verunsichert in der Gegend herum.
„Wir müssen reden!“, sagte ich entschlossen. Das war nur improvisiert. Ich tat so, als wenn ich nicht aus der Bahn geworfen worden wäre. Doch wie sorgte ich dafür, dass ich nicht der einzige bin, der redet? Wir standen alle unter Schock. „Wir sind hier wegen Jake. Wir hörten, dass du ihn darum gebeten hast zu kündigen, da er einmal zu spät war. Jake wurde bisher vorher noch nie aufgeschrieben. Es ist nicht fair ihn ohne Warnung rauszuwerfen.“
Sam schaute benebelt. Alle anderen waren in Schockstarre. Ich sorgte für eine klare Stimme. Sam schüttelte sich.
„Ja, genau. Wir, ähh. wir mögen Jake alle. Wir wollen, dass er, ähh, dass er bleibt, ok?“. Sam hatte es getan. Das Eis war gebrochen. Es war klar, dass ich nicht der einzige bin, der hinter Jake steht.
„Wir sorgen uns alle um Jake und wissen, dass es verdammt hart für ihn wäre den Job zu verlieren. Wirst du Jake eine neue Chance geben?“ ergänzte ich. „Jake, du willst doch deinen Job bei Starbucks behalten, oder?“
„Ja, klar. Ich meine: Ich bin sehr gerne hier. Ich mag alle Leute mit denen ich zusammenarbeite. Ich mag Kaffee. Und ich kann versichern, dass ich mich nicht mehr verspäte“, sagte Jake mit augenzwinkernder Ehrlichkeit.
Stille. Jenny schaute, als wenn ihr jemand direkt auf die Nase gehauen hätte.
Es sah aus, als wenn wir gewinnen würden.
***
„Jenny, wir wollen nur wissen, ob Jake seinen Job noch weiterhin hat. Es ist uns allen sehr wichtig, dass er seinen Job behält. Hat Jake seinen Job noch?“
„Ic-,Ic-,Ic-, Ihr dürft nicht darüber reden. Es gibt eine Schweigepflicht.“
Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich fuhr fort: „Wir brauchen auch gar nicht weiter darüber reden. Wir wollen nur wissen, ob er seinen Job noch hat. Hat er seinen Job noch?“ Scheiße, die anderen müssen auch endlich was sagen. Ich lehnte mich zu sehr aus dem Fenster.
„Ihr habt die bei eurer Einstellung unterschrieben. Es gibt eine Schweigepflicht hier im Betrieb. Ich darf mit euch nicht über Disziplinarmaßnahmen anderer reden.“
„Jenny, wir wollten direkt mit dir reden, da wir dachten, wir können das unter uns klären. Wenn das nicht geht, dann werden wir eben mit Caroline reden müssen.“ Caroline war die Bezirksleitern, eine furchteinflößende unberechenbare Chefin. Sie verängstigte ArbeiterInnen und ManagerInnen gleichermaßen. „Jake behält seinen Job, richtig?“
Kleine Pause. Jennys Gesicht zog sich zusammen. Wir hatten einen wunden Punkt gefunden. „Ja, klar.“ sagte Jenny mit einem verängstigtem Atemzug.
Wir hatten gewonnen.
***
„Toll. Also, hat irgendjemand von euch schon mal was von dieser ‚Schweigepflicht gehört‘?“
Meine KollegInnen schüttelten ihren Köpfe.
„Ok, Jenny, wir brauchen eine Kopie dieser Erklärung und alle weiteren Dokumente von denen du sagst wir hätten sie unterschrieben. Kannst du die uns besorgen?“
„Ja“, raunte sie.
„Großartig. So, hat Jake Stunden im Dienstplan für diese Woche?“
„Ich kann mit Jake später darüber reden. Ich muss jetzt weg… mich mit Caroline unterhalten.“
Das ganze also nochmal von vorne.
„Jenny, wird Jake Stunden haben? Jake, frag Jenny ob du Stunden haben wirst!“
„Ja, genau. Bin ich im Plan eingetragen diese Woche?“
Pause.
„Ähh, ja, hast du. Ich melde mich heute Nachmittag um dir deine Stunden mitzuteilen.“
„Großartig. Jenny, vielen herzlichen Dank. Ich bin so froh eine Managerin wie dich zu haben, mit der wir Probleme direkt besprechen können. Danke für die Zusammenarbeit in dieser Sache. Was machst du heute Nachmittag? Gehst du ein bisschen einkaufen?“
„Eigentlich wollte ich mich mit Caroline jetzt gleich treffen.“
„Ach, echt?“ Ich grinste. Die Chefinnen planten ihre Strategien also gemeinsam. Nur, jetzt mussten sie auf uns reagieren. „Besorgst du uns die Kopie der Dokumente, die wir angeblich unterschrieben haben?“
„J-Ja“, stotterte sie, immer noch ein bisschen durcheinander.
„Danke Jenny. Gibt es noch etwas über das du mit uns reden wolltest?“, fragte ich in die Runde. Sie schauten mich mit einer Kombination aus Freude und Verwirrung an. Wir waren über unsere eigene Macht erstaunt. „Ähh, nee. Ich denke alles ist soweit abgedeckt.“ „Ja, genau.“ „Ich denke, alles ist gut.“ Die Antworten sprudelten aus den anderen heraus.
Wir hatten eine Kündigung verhindert.. Die Chefin hatte versucht uns mit ihrer größten Waffe zu bedrohen – und wir entwaffneten sie. Für einen Moment waren wir unbesiegbar.
Die Chefin hatte versucht uns mit ihrer größten Waffe zu bedrohen – und wir entwaffneten sie. Für einen Moment waren wir unbesiegbar.
Wir spazierten aus der U-Bahn-Station, betrunken vor Euphorie. Wir stolzierten triumphierend durch die Mall of America wie Wölfe auf ihrem Beutezug, wir marschierten an Starbucks vorbei, McDonald’s, GAP, dem Apple Store. Die Waren in den Schaufenstern hatten ihren Glanz für uns verloren. Jetzt sahen wir nur die ArbeiterInnen, und in ihnen das Potenzial die Welt in die richtige Richtung zu verändern. Die ArbeiterInnen schauten niedergeschlagen zurück, ungewohnt das irgendjemand auf sie schaute – und nicht auf die Waren. Als sich unsere Blicke trafen, konnte ich in ihnen die Reflektion unserer Macht und unseres Selbstvertrauens sehen, das wir ausstrahlten. Es gab so viel Dinge die ich ihnen mitteilen-, und sie wissen lassen wollte.
In der nächsten Woche kam Jenny nur einmal zur Arbeit. Sie gab Jake mehr Stunden als er vor der Aktion hatte. Sie nahm mich zur Seite und gab mir eine Gehaltserhöhung ohne Erklärung, ganz unüblich im Vergleich zu den Standard-Abläufen bei Starbucks. Sie benutzte das Zuckerbrot, aber versuchte auch die Peitsche einzusetzen. Sie schrieb auf dem Aushang in fetten Buchstaben: „Es gibt eine neue Anwesenheitsregelung. Alle, die eine Minute zu spät kommen, werden aufgeschrieben!“.
Und das war eigentlich das letzte, das wir von ihr noch zu sehen bekamen. Sie konnte der, wie der Phoenix aus der Asche emporsteigenden proletarischen Macht, die aus den Trümmern ihrer Autorität aufstieg, nicht standhalten.
Von dem Tag an, war ArbeiterInnenmacht nicht weiter ein Glaubensbekenntnis, sie wurde Realität, die uns uns alle verändert hatte.
Sie tauchte für ungefähr zwei Wochen nicht mehr auf, dann bekamen wir die Neuigkeit mitgeteilt, dass sie, in den Orwellschen Worten unserer Bezirksleiterin Caroline Kaker, „andere Karrierechancen als Starbucks“ wahrnehmen würde.
Wir hatten unsere Chefin gefeuert.
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Von dem Tag an, war ArbeiterInnenmacht nicht weiter ein Glaubensbekenntnis, sie wurde Realität, die uns uns alle verändert hatte. Wir hatten eine Kopernikanische Wende vollzogen und rückten die ArbeiterInnen in den Mittelpunkt des kleinen Universums unseres Ladens. Wir wollten die guten Nachrichten teilen – ArbeiterInnen könne die Subjekte der Geschichte sein, nicht deren Objekte. Der König hat faktisch keine Kleider am Körper; alle ChefInnen sind Papiertiger. Der Bann war gebrochen.
Das erste Mal sahen wir Kapitalismus nicht als einen monolithischen Block der Herrschaft, sondern als eine gegnerische Armee mit empfindlicher Achillesferse. Selbst als kleine Gruppe von ArbeiterInnen mit geringer Organisation und null Erfahrung, hatten wir die Basisstruktur dieser Gesellschaft umgedreht. Wenn es bei Starbucks in der Mall of America funktionieren kann, dann kann es überall funktionieren. Mit genug Ausdauer können wir so etwas überall möglich machen.
Über den Autoren
Erik Forman war aktiv in wegweisenden Solidarity Unionism Kampagnen im Fastfood Sektor mit den Industrial Workers of the World. Im Moment ist er beteiligt an der Entwicklung einer syndikalistischen Bewegung von Studierenden in den USA, nach Vorbild der Bewegung ASSÉ in Quebec, Kanada.
Übersetzt von Mark Richter/ IWW Frankfurt a.M.
Dieser Text heißt im englischen Original: „Ok, which exit is it?“ und erschien zuerst in: Nappalos, Scott (2013), Lines of Work: Stories of Jobs and Resistance, Edmonton (CA), S. 23-32. Das Buch ist ein Projekt von linken BasisaktivistInnen aus den USA, Kanada und Großbritannien. Viele der AutorInnen sind selbst Mitglieder der Industrial Workers of the World (IWW), einige andere sind in weiteren linken Organisationen aktiv. Allen gemeinsam ist, dass sie versuchen widerständige Geschichten an ihren Arbeitsplätzen, aus der Perspektive ihres eigenen Engagements zu veröffentlichen, um andere zu ermutigen selbst aktiv zu werden. Das Buch ist die gedruckte und erweiterte Form des Blogs recomposition.info
Wir veröffentlichen diesen Text mit freundlicher Genehmigung durch den Autoren und den Verlag Black Cat Press.