Übersicht
Unternehmen: Kleines mittelständisches Unternehmen, aktiv im Anbau und Verkauf von biologisch angebautem Gemüse
Jahre: 2013 – 2016
Branche:
Biologischer Anbau, Gastronomie & Einzelhandel, Lebensmittelproduktion
Erfahrungsbericht
Von Ulla Fischer.
Über die Organisierung und den Verlauf
Wir haben uns als Kolleg_innen in einem kleinen Öko-Unternehmen mit knapp 20 Kolleg_innen zusammengefunden. Alltagsprobleme waren vor allem das Gefühl vieler Kolleg_innen, keine Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu bekommen, was sich ausdrückte in schlechter Einarbeitung, ungeklärten Zuständigkeiten, schlechter Planung von Urlaubs- und Krankheitsvertretung sowie willkürlichen Kündigungen selbst langjähriger Kolleg_innen. Auch die unterschiedliche Bezahlung bei gleichen Aufgaben entwickelte sich im Laufe unseres Kennenlernens zu einem immer wichtigeren Thema.
„Dürfen“ wir einige ausschließen? Ist das dann Mobbing? Haben alle Kolleg_innen etwas gemeinsam?
Dagegen haben wir vor ca. 3 Jahren regelmäßige Kolleg_innentreffen ins Leben gerufen. Bei diesen lockeren Abenden in Hinterzimmern von Kneipen haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass 450 Euro-Jobber_innen um Krankheitsgeld und Urlaub betrogen wurden. Das hat viele, für die vorher generell alles in Ordnung war, zum ersten Mal richtig wütend gemacht. Während die Arbeit in der Öko-Branche ihnen vorher einen „Job mit Sinn“ und das „Ziehen an einem Strang für die gute Sache“ versprach, sahen sie mit einem Mal gegeneinander stehende Interessen von Chefs und Lohnabhängigen.
Schwierig war bei diesen Treffen, dass nicht alle gleich kritisch den Chefs gegenüber waren. Vor den „Chef-loyaleren“ Kolleg_innen wollten viele nicht offen reden, weil sie wussten, dass es den Chefs weitergetragen wird. Die Frage, ob wir alle Kolleg_innen ausnahmslos einladen, war schwer zu beantworten: „Dürfen“ wir einige ausschließen? Ist das dann Mobbing? Haben alle Kolleg_innen etwas gemeinsam?
Aus diesen Treffen hat sich eine Betriebsgruppe entwickelt, der sich regelmäßig getroffen hat und letztendlich auch die Betriebsratsgründung (BR) angeschoben hat. Es war schwierig, zu entscheiden, wen wir vor Aushang der Einladung zur Wahlvorstandswahl schon informieren und wen nicht: Wir wollten vorab möglichst viele Kolleg_innen im Boot haben, nicht überrumpeln, sondern involvieren, aber gleichzeitig zu früh nicht auffliegen.
Auf dem langen Weg ist es uns wichtig geworden, unsere kleinen Erfolge zu feiern: Wenn uns der Atem ausging, haben wir uns gegenseitig daran erinnert, dass wir Feiertagszuschlag für alle, die Rücknahme von Abmahnungen, bessere Schichtpläne und die Beseitigung von giftigen Arbeitsumgebungen erreicht hatten.
Um die aktiven Kolleg_innen zu schützen, haben nicht Einzelpersonen, sondern die IWW als Gewerkschaft zur Wahlvorstandswahl eingeladen. Das haben die Chefs genutzt, um in einem Personalrundbrief gegen die IWW als anachronistische, verrückte Sekte, die Eigeninteressen verfolgt, zu hetzen. Darauf waren wir nicht inhaltlich vorbereitet und auch die aktiveren Kolleg_innen der Betriebsgruppe, keine überzeugten Linken, haben sich daraufhin von der IWW distanziert. Sie hatten die IWW-Aktiven persönlich schätzen gelernt und pragmatisch von deren Erfahrungen profitiert, aber zu wenig über prinzipielle politische Programme erfahren. Der politische Sprung über den Betrieb hinaus ist im Vorhinein nicht geglückt. Heute würden wir offener damit umgehen, dass wir Kommunist_innen sind und dass das weder anachronistisch noch von Moskau bezahlt ist, sondern berechtigt und notwendig in diesen Verhältnissen. Es gibt aber trotzdem eine Hemmschwelle, die nicht-szenigen Kolleg_innen z.B. zu einem 101 einzuladen, auch wenn ihnen das wahnsinnig viel genutzt hätte. Dementsprechend sind auch einige Kolleg_innen zu Beratungsstellen der DGB-Gewerkschaften gerannt, auch wenn sie, deprimiert von deren Bürokratie und Desinteresse, zurückkamen. Der DGB wirkte einfach viel seriöser auf sie als unsere kleine Ortgruppe.
Eine weitere effektiv spaltende Sozialtechnik der Chefs war, eine_n aktive_n Kolleg_in zu befördern, wodurch sich diese_r Kolleg_in in einem Loyalitätskonflikt sah und letztendlich beschloss, sich aus der Unterstützung der Betriebsgruppe zurückzuziehen.
Auf dem langen Weg ist es uns wichtig geworden, unsere kleinen Erfolge zu feiern: Wenn uns der Atem ausging, haben wir uns gegenseitig daran erinnert, dass wir Feiertagszuschlag für alle, die Rücknahme von Abmahnungen, bessere Schichtpläne und die Beseitigung von giftigen Arbeitsumgebungen erreicht hatten. Das haben wir auf jeweils unterschiedlichen Wegen geschafft: Mal mit emotionalem Druck gegen die Chefs, mal mit selbstverständlichem In-die-Hand-nehmen, mal einzeln, mal zusammen. Gerade in kleinen Betrieben lohnt es sich, gewitzt und anpassungsfähig zu handeln, und deshalb ist ein BR nicht unbedingt das beste Werkzeug in allen Lagen.
Der Betriebsrat existiert inzwischen und sammelt erste Erfahrungen. Wichtiger als die Institutionalisierung eines BR waren uns aber die Gespräche und Kontakte unter den Kolleg_innen. Wir hoffen, diese Institution als Ausgangsbasis zu haben, um mehr Räume zu schaffen, in denen wir untereinander offen reden, Vertrauen gewinnen und Pläne schmieden können.