Wie aus einem Geburtstagskuchen eine direkte Aktion wurde

Übersicht

Unternehmen: Unbekannt

Ort: Miami, USA

Besonderes: Kollegin Monica berichtet von ihrem Arbeitsplatz an dem sie noch nicht so lange arbeitet und wie aus einer, für sie nicht vorhersehbaren Situation eine kollektive Aktion entsteht. In diesem Fall geht es um einen Geburtstagskuchen.

Eine Version erschien bereits in: Direkte Aktion Juli/August 2015.

Jahr: 2013

Branche:

Direkte Aktion, Querschnittsthemen

Weiterführende Infos:
Recomposition.info

Erfahrungsbericht

Von Monica Kostas.
Kuchen.

Vor einiger Zeit entschied sich mein Boss keine Geburtstagsfeiern und jegliche Partys mehr zu erlauben. Er sagte, das wäre „zu viel Ablenkung“ für die ArbeiterInnen. Da ich seit 6 Monaten hier arbeite bin ich gar nicht lange genug dabei, um diese Partys überhaupt mitbekommen zu haben.

Auf dem Flur hängen dekorative Rahmen um den Ort davor zu bewahren wie ein Friedhof oder eine Anstalt auszusehen. Es sind handgemachte überladene 75x100cm Collagen, die Nahaufnahmen aller MitarbeiterInnen zeigen, die auf früheren „Ende-des-Jahres Partys“ waren. Leute bleiben oft vor ihnen stehen um sie anzuschauen, und um über Ex-MitarbeiterInnen zu tratschen, zum Beispiel wie viel Gewicht jemand zugenommen hätte, seit dieses und jenes Bild aufgenommen wurde und so weiter.

Da ich im Vergleich zu dem Haufen KollegInnen, die hier seit mehreren Jahren arbeiten, ein Neuling bin, nehmen sie sich immer Zeit um mir die Bilder zu erklären, wenn sie mich davorstehen sehen. Sie erklären mir wie die KollegInnen heißen, wen sie besonders mögen und wen die ganze erweiterte Familie, die zu solchen Partys mitgekommen ist, umfasst. Dann erzählen sie mir wie betrunken sie an welchem Event waren und darauf folgt immer eine witzige Anekdote. Sie scheinen diese Zusammenkünfte sehr zu vermissen. In Anbetracht der ganzen lächelnden Gesichter auf den Bildern, kann ich erkennen, dass sich etwas verändert hat seit der neue Chef den Laden übernahm und ich bin mir sicher, dass sie über diese Veränderung die ganze Zeit reden.

In Anbetracht der ganzen lächelnden Gesichter auf den Bildern, kann ich erkennen, dass sich etwas verändert hat seit der neue Chef den Laden übernahm und ich bin mir sicher, dass sie über diese Veränderung die ganze Zeit reden.

 
„Wir waren glücklich“, höre ich oft, „Ich meine, wir hassten uns gegenseitig sehr oft aber am Ende war es eine Beziehung, eine Art Hass-Liebe. Wir hatten Spaß. Jetzt interessiert sich kein Schwein für irgendwas, alles hat sich verändert.“ Das erzählte mir Maria in der Mittagspause vor ein paar Tagen als Santiago, Javier und seine Frau am anderen Tisch saßen. Die generelle Haltung dem Management gegenüber ist offensichtlich feindselig. Ich hörte Spott, direkte Beschimpfungen und permanentes Lästern, auf Spanisch natürlich – außer wenn die Leute vom Management anwesend sind, dann gibt es nur lächelnde Gesichter. Immer wenn sie mit neuen Regeln oder weniger Stunden für Festangestellte oder dem Verbot der Geburtstagsfeiern kommen, gibt dies den Leuten weiteren Anlass sie zu verspotten. Dieser spezielle Tag, war der Geburtstag von Javier. Niemand wusste davon so richtig und niemand brachte ihm irgendwas. Als seine Frau seinen Geburtstag erwähnte, sagten wir irgendwas Peinliches wie: „Oh, ähh….Herzlichen…Glückwunsch!“.

Ich schlug vor, dass wir feiern. Maria sagte, dass sie das früher gemacht hätten. Jemand hätte Kuchen gekauft und alle nähmen eine kleine Pause um Happy Birthday zu singen. Aber auch nicht mehr, denn das wäre nicht erlaubt gewesen. „Wie bitte? Das ist lächerlich! Wir sollten ihm (dem Chef) sagen, dass wir einen Kuchen für Javi anschneiden wollen“, sagte ich. „Pff“, spottete Santiago, während er seinen Kopf schüttelte, „er lässt uns ja nicht mehr.“
Ich ließ den Zynismus einfach an mir abprallen und mischte mich wieder ein: „Buen provecho, ihr alle!“.

Ich ging zurück in mein Büro und dachte: „Warum weiß niemand, dass Javi heute Geburtstag hat?“

Ich arbeite an einem Arbeitsplatz, wo viele Menschen miteinander verwandt sind. Es sind ungefähr drei Generationen an diesem Arbeitsplatz, deshalb arbeiten viele mit ihrer Schwester, ihrem Cousin, der Mutter oder dem Vater zusammen, und dass über viele Jahre. Ich gehöre zu der kleinen Minderheit von Menschen, die hier arbeitet ohne mit jemand anderem verwandt zu sein. Und dann ist da der Chef, seine Frau und sein Sohn, denen die Firma gehört. Ich erwähne das, weil Javi ein Teil der größten Familie hier ist. Trotzdem schien niemand zu wissen, dass er Geburtstag hat. Ich bin sicher, dass es ein Teil von ihnen wusste, es zeigte nur niemand.

Ich ging schnell zurück in den Pausenraum und fragte, ob es irgendeinen Weg gäbe an eine Liste mit den Geburtstagen zu kommen. Javi, der sonst für die Gehaltsabrechnung und Personalakten zuständig ist, schüttelte seinen Kopf. Nein, es sah so aus, als wenn er auch nicht helfen wollte.
„Ok…“, sagte ich.
„Du könntest rumgehen und alle fragen, ha ha ha“, lachte Maria laut.
„Ha… Ok.“ Ich ging zurück in mein Büro.
„Alle fragen?“, dachte ich. Ich kenne gar nicht alle. Ich kenne nur ein paar Leute näher, der Rest kennt mich so gut wie gar nicht. Wie sollte ich erklären, dass ich die Leute nach ihrem Geburtstag frage? Sie werden alle denken, dass ich total herumschnüffle. Die draufgängerische Grafikerin aus der letzten Ecke, die immer herumschnüffelt. Vielleicht sollte ich bis morgen warten. Ich könnte nach Hause gehen und meine FreundInnen fragen ob das eine gute Idee wäre und könnte mir ein paar Tipps holen. Meine Aktion könnte zu überstürzt sein, da mich die Leute bisher nicht kennen. Vielleicht ist es merkwürdig.

„Scheiß drauf“, sagte ich mir. Javiers Geburtstag ist heute, ich habe jetzt eine gute Geschichte, denn morgen hat niemand Geburtstag. Ich nahm einen benutzten Zettel und beschrieb die Rückseite mit zwei Spalten: Name und Geburtstag.
Maria war zu der Zeit wieder an ihrem Schreibtisch. Sie war diejenige, die am nächsten zu mir arbeitete. Ich zeigte ihr den Zettel und sie wusste sofort worum es geht. Sie lachte und schrieb ihre Daten auf. Die Liste zeigte ich ein paar anderen Leuten und erklärte das Javi heute Geburtstag hat, und dass es niemand wusste oder ihm etwas schenkte. Wir sollten wenigstens gegenseitig unsere Geburtstage wissen. Den anderen einen Bogen zu präsentieren, der Daten von ihnen verlangt, verunsicherte die Leute. Ich persönlich fühlte mich sehr unklar in dem was ich tat.

„Aber wofür ist das?“, fragten sie mich.
„Ähh… ich weiß nicht genau, vielleicht bringen wir ein paar Kekse das nächste Mal mit. Niemand brachte Javi irgendwas, weil wir nichts davon wussten.“
„Ja, das ist wirklich nicht richtig…. Weißt du, früher feierten wir Geburtstage und brachten auch Kuchen mit…“
„Ich weiß, ich weiß. Nächstes Mal werden wir was machen, auch wenn es nur klein sein sollte“, antwortete ich.

Nachdem sich ein paar Leute eingetragen hatten, sagte ich ihnen, dass sie die Liste weitergeben sollten. Ich dachte, dass dieser Scheiß bestimmt in letzter Sekunde in die Hose gehen wird. Ich ging mir Wasser holen, sodass ich nicht die ganze Zeit dabei stehen würde um zu sehen, ob Leute die Liste unterzeichnen. Ich ging in das Badezimmer, rief anschließend meine Emails ab und kam danach zu den anderen zurück.

Fast alle von vorne hatten unterschrieben und noch besser: Sie waren von ihren Plätzen aufgestanden, unterhielten sich aufgeregt über vorherige Geburtstagsfeiern, wann ihre Geburtstage waren, über witzige Geschichten und ihre Sternzeichen.

 
Fast alle von vorne hatten unterschrieben und noch besser: Sie waren von ihren Plätzen aufgestanden, unterhielten sich aufgeregt über vorherige Geburtstagsfeiern, wann ihre Geburtstage waren, über witzige Geschichten und ihre Sternzeichen. Es war ein lebhafter Anblick. Ich nahm den Zettel zurück an den Ort des Büros, wo Javi und seine Frau arbeiteten und als ich den Zettel Javis Frau gab, neigte sich mir entgegen und sprach mit leiser Stimme: „Sabes qué, weißt du was? Ich werde zum Chef gehen um zu fragen, ob wir einen Kuchen für Javier haben können.“
Ich lehnte mich vor und sagte „Ja, super, für wann?“
„Jetzt gleich.“
„Jetzt gleich? Du hast ihm einen Kuchen besorgt?“
„Nein, ich besorge einen.“
„Was? Woher? Jetzt gleich?“ Ich fragte sie ein paar Mal. Ich dachte, „Wird sie wirklich ihre Arbeit stoppen, sich in ihr Auto setzen und hier wegfahren?“
„Ja, jetzt gleich. Ich fahre zum Laden und komme dann wieder.“
„Ok? Ok… Ja, klar, ja, sag mir, was er dazu sagt.“
Sie füllte den Zettel aus und ich ging zurück in mein Büro, noch verwundert darüber, was gerade passiert war.

Als ich auf die Liste mit den ganzen Namen und Daten schaute, fragte ich mich überrascht, ob mich das jetzt zu der „Geburtstagsverantwortlichen“ gemacht hatte. Ich öffnete eine Excel Tabelle und machte eine Geburtstagstabelle mit verschiedenen Farben und Linien. Ich druckte ein paar Exemplare aus. Danach ging ich für eine gewisse Zeit an meine Arbeit zurück und zerbrach mir den Kopf über die Aktion während ich mich teilnahmslos durch meine Emails klickte.
Ungefähr eine Stunde später kam die Vertriebsleiterin, Javis Nichte in mein Büro und sagte mir, dass ich in den Pausenraum kommen solle, weil wir einen Kuchen für Javi anschneiden würden.
„Ok? Ok. Ok ja, ich bin sofort da. “

Ich ging in Richtung Pausenraum und die Menschen zwängten sich in das winzige Zimmer, leise lächelnd, mit aufgeregten Händen in ihren Hosentaschen. Auf dem Kuchen stand sogar sein Name.
Javi kam als letzter und ein Feliz Cumpleaňos wurde angestimmt. Der Kuchen sah aufwendig und lecker aus.
Hinterher lachten wir alle, redeten und machten Scherze im Pausenraum. Auf dem Weg zurück zu meinem Schreibtisch hängte ich die Liste an unsere Stempeluhr. Maria begleitete mich und sagte: „Das war toll… Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Auch wenn es niemand zugeben mag, alle mögen es, mal jemand besonderes zu sein.“
Ich lachte leicht und sagte: „Du bist so kitschig“. Ich griff lachend nach ihrem Am. „Aber das ist wahr… So viel ist sicher.“

Was davon bleibt

Die letzten sechs Monate waren eine entspannte Reise des Lernens über die Gegebenheiten vor Ort. Ich knüpfte neue Beziehungen mit KollegInnen, was mir schwerfällt, da ich isoliert im Hinterzimmer arbeite. Aber dieses Lernen war von unschätzbarem Wert für mein Organizing. Die wenigen Male als wir über die Arbeit geredet hatten, lernte ich viel über die verschiedenen beschissenen Dinge, die in unserem Job so passieren: wie die extrem ungleiche Bezahlung, fehlende Leistungen/Renten, unklare Verträge die Leute bekommen, Lohnraub und so weiter. Jedes Mal, wenn ich fragte wie wir diese Missstände zum Positiven verändern könnten, bekam ich dieselbe zynische Antwort: „Dieser Arbeitsplatz wird sich nie verändern, du kannst nichts machen“. Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr Leute an diesen Begründungen festhängen.

Ich frage mich von Zeit zu Zeit: „Wie bekomme ich Menschen dazu sich zu wehren, wenn sie so hoffnungslos, desillusioniert und klein gehalten werden? Was wäre ein Thema für das es sich zu kämpfen lohnen würde? Was passiert, wenn wir kämpfen um Vorteile zu bekommen? Was ist, wenn Menschen ihre noch ausstehenden Löhne ausgezahlt bekommen?“ Ich bringe diese Themen ab und zu ein, wenn ich denke, dass es passend ist, aber der Zynismus ist so hartnäckig, dass er erdrückend wird. Das immer und immer wieder zu hören, führt bei mir manchmal dazu, zu denken, dass sich die Dinge vielleicht wirklich nicht ändern können.
Aber dann kam die Sache mit dem Kuchen und das führte dazu, dass ich die Dinge ein bisschen anders sehe.

Obwohl es kein großer Kampf war, war das ein Beispiel einer Aktion an einem Ort, an dem lange Zeit nichts Besonderes passiert war. Wenn ich das genauer betrachte, musste ich mich nur leicht ins Handgemenge begeben und ein bisschen Smalltalk über Sachen führen, die nichts mit der Arbeit direkt zu tun haben, um Menschen zu erreichen, mit denen ich sonst nichts zu tun habe. Wir erreichten eine Unterbrechung der Arbeit für mindestens eine halbe Stunde (die wir planten weiter zu führen) und Menschen können sich daran erinnern wie es war. Sie haben sich daran gewöhnt und jetzt feiern wir einfach, weil es alle wollen.

Das brachte mich dazu kreativer zu denken, wenn ich mich an meinem Arbeitsplatz organisiere. Ich stellte fest, dass Widerstand nicht notwendigerweise in typische Schablonen passen muss, wie Kämpfe um höhere Löhne oder um Krankenversicherung.

 
Das brachte mich dazu kreativer zu denken, wenn ich mich an meinem Arbeitsplatz organisiere. Ich stellte fest, dass Widerstand nicht notwendigerweise in typische Schablonen passen muss, wie Kämpfe um höhere Löhne oder um Krankenversicherung. Natürlich verurteile ich diese Kämpfe nicht, sie sind wertvoll und erstrebenswert. Aber Widerstand kann auch von Dingen ausgelöst werden, die unsere politische Linie als OrganizerInnen nicht vorgibt. Vielleicht erscheinen diese Kämpfe im Moment zu winzig oder unbedeutend, aber an Orten, an denen Menschen ihre grundlegenden Beziehungen verloren haben, klingen große Kämpfe unangemessen oder unmöglich. Ich habe das Gefühl, dass ich zu sehr nach Chancen Ausschau hielt, nach Kämpfen von denen ich gehört und vorher gelesen hatte, dass ich die grundlegenden Beschwerden, die mir mitgeteilt wurden, übersah.

Als ich mit den anderen im Pausenraum saß und sah wie alle miteinander redeten und lachten, war das einer Beweis dafür davon, dass diese sozialen Verbindungen das Rückgrat von Arbeitsplatz-Gemeinschaften sind. Ohne diese intensiven Beziehungen ist Widerstand wohl nicht möglich. Diese gemeinschaftlichen Veranstaltungen produzieren Erfahrungen, die die Arbeit annehmbar machen. Das sind die Momente, auf die sich Menschen freuen, auch wenn diese Aktion keine große Sache war. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Menschen sich bereit fühlen gemeinsam gegen die Aussage des Chefs, dass ArbeiterInnen „zu sehr abgelenkt“ würden, vorzugehen. Und es zeigt, immerhin jetzt, dass ihnen die Beziehungen untereinander wichtiger sind als das Kommando der ChefInnen.

Über die Autorin
Monika Kostas lebt und arbeitet in Miami, Florida. Sie ist Mitglied der IWW und arbeitet ebenso daran, dass neue Projekte in Miami entstehen, die sich darauf konzentrieren Geschichten von ArbeiterInnen zu verbreiten und soziale Beziehungen in ihrer Community herzustellen. Normalerweise erstellt sie Grafiken und Illustrationen für die Ortsgruppe der IWW in Miami und anderen Organisationen der radikalen Linken. Sie schreibt ebenfalls für den Blog Recomposition.


Übersetzt von Mark Richter/ IWW Frankfurt am Main und Levke Asyr/ IWW Leipzig.

Dieser Text heißt im englischen Original: „Kuchen“ und erschien zuerst in: Nappalos, Scott (2013), Lines of Work: Stories of Jobs and Resistance, Edmonton (CA), S. 23-32. Das Buch ist ein Projekt von linken BasisaktivistInnen aus den USA, Kanada und Großbritannien. Viele der AutorInnen sind selbst Mitglieder der IWW, einige andere sind in weiteren linken Organisationen aktiv. Allen gemeinsam ist, dass sie versuchen widerständige Geschichten an ihren Arbeitsplätzen, aus der Perspektive ihres eigenen Engagements zu veröffentlichen, um andere zu ermutigen selbst aktiv zu werden. Das Buch ist die gedruckte und erweiterte Form des Blogs recomposition.info

Wir veröffentlichen diesen Text mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin und den Verlag Black Cat Press.

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