Übersicht
Unternehmen: Deutsches Rotes Kreuz Ambulante Pflege
Ort: Köln
Jahre: 2012 – 2014
Branche:
Weiterführende Infos:
Netzwerk Care Revolution
Erfahrungsbericht
Von Jonathan Sznejder.
Über den Verlauf der Organisierung
Dieser Bericht bezieht sich auf unsere Betriebsgruppe bei einem Träger in Köln, der vorwiegend ambulanten Pflegedienst und persönliche Assistenz für autonom lebende, körperbehinderte Menschen anbot. Es gibt uns schon eine Weile nicht mehr, wir waren in im Zeitraum 2012-2014 aktiv. Wir? Das war ein Kreis von Kolleg*innen, der in der persönlichen Assistenz arbeitete. Jede*r Assistenznehmer*in hatte ein Team von 8 bis 12 Leuten, die von dem Träger gestellt und bezahlt wurden. Meistens haben die Assistenznehmer*innen rund um die Uhr jemanden aus dem Team bei sich, die bei der Bewältigung alltäglicher Probleme unterstützt, quasi „Arme und Beine“ der körperlich eingeschränkten Assistenznehmer*in ist. Die meisten sind auf Teilzeit oder auf Minijob eingestellt, einige sogar auf Honorarbasis.
„De facto waren wir über Nacht fünf Stunden gratis vor Ort, ob wir nun schliefen oder alle zwei Stunden die Assistenznehmer*in neu positionierten, um Druckgeschwüren vorzubeugen.
Das größte Alltagsproblem für uns war die Bezahlung. Wir bekamen nicht den Pflegemindestlohn, sondern 7,50 Euro (das war also vor dem allgemeinen Mindestlohn) – mit der Begründung, wir würden keine Pflege leisten. Darüber waren wir verwundert und verärgert, da wir den Assistenznehmer*innen bei der Körperpflege halfen, sie pflegten, wenn sie krank waren, ihnen zuhörten, wenn sie traurig waren, die Wohnung putzten, Essen zubereiteten, etc. Zudem wurde die Anwesenheit am Arbeitsplatz zwischen 00:00 und 05:00 nicht bezahlt, bzw. mit einer skurrilen Bereitschaftsklausel als bezahlt markiert. De facto waren wir über Nacht fünf Stunden gratis vor Ort, ob wir nun schliefen oder alle zwei Stunden die Assistenznehmer*in neu positionierten, um Druckgeschwüren vorzubeugen.
Ein Bericht über unsere Betriebsgruppe ist müßig zu schreiben, da wir im Grunde über die allererste Phase – der Gründung – nie herauskamen. Das lag unserer Einschätzung nach v.a. an zwei Dingen: Der massiven Fluktuation in den Teams und der Verteilung der Teams in der ganzen Stadt. Dadurch, dass jedes Team eigene Dienstpläne hatte und ihre jeweils eigene, kleine Betriebseinheit bildete, kam es nie zu teamübergreifendes Aufeinandertreffen der Assistent*innen. Wir hatten große Schwierigkeiten unsere Kolleg*innen kennenzulernen und mussten auf Zufälligkeiten, persönliche Kontakte und Facebook vertrauen. Einer aus unserer Gruppe ließ sich als Springer einstellen, um so die anderen Teams kennenzulernen, wurde dann allerdings die meiste Zeit in einem Team eingesetzt.
Aktionen
Wir haben keine teamübergreifenden Aktionen durchführen können. In dem am besten organisierten Team konnte durchgesetzt werden, dass die Nacht durchbezahlt wurde. Das Team forderte unisono die Durchbezahlung und argumentierte, dass die Nächte wegen dem hohen Pflegeaufwand durchgehend Arbeitszeit sei. Das war unser größter Erfolg, der sich leider nicht auf die anderen Teams übertragen ließ – uns fehlte dort die Durchsetzungskraft.
Die Betriebsgruppe wurde zu einem Geflüster im Betrieb. Es war spannend und wir hatten das Gefühl, etwas reißen zu können. Vielleicht waren wir überfordert vom treibenden Moment dieser Zeit, denn leider konnten wir das Potential nicht umsetzen.
Drei Leute riefen damals die Betriebsgruppe ins Leben, zwei davon Wobblies. Wir waren zeitweise 20 Leute auf den Treffen, das waren euphorische Treffen. Wir hatten ein Forum auf Riseup, wir hatten einen Whatsapp-Verteiler und wir hatten einen Raum in einem linken Projekt, den wir einmal im Monat nutzen konnten.
Die Betriebsgruppe wurde zu einem Geflüster im Betrieb. Es war spannend und wir hatten das Gefühl, etwas reißen zu können. Vielleicht waren wir überfordert vom treibenden Moment dieser Zeit, denn leider konnten wir das Potential nicht umsetzen.
Wir trafen uns mit dem Betriebsrat, stellten uns vor und suchten Unterstützung für unsere Forderungen (beim nächsten Telefonat wussten sie allerdings schon nicht mehr, wer wir waren). Wir trafen uns mit Kolleg*innen aus anderen Betrieben in anderen Städten und stellten fest, dass es bei uns im Vergleich wirklich mies war. Wir trafen uns mit dem Ver.di Sekretär des zuständigen Fachbereiches und schauten ihm zu, wie er in Gesetzestexten blätterte, und hörten ihm zu, wie er sagte, dass wir zu ambitioniert seien. Uns ging der Schwung aus, hatten zu viele Baustellen, wir planten keine Aktionen, setzten Hoffnungen in den BR. Der „Sauerstoff der Betriebsgruppe“ – direkte Aktionen – wurde rar. Nach und nach brachen Leute weg, fingen an zu studieren, fanden einen besseren Job oder zogen aus der Stadt weg. Als zwei der Hauptorganizerinnen aufhörten, entglitten uns die jeweiligen Teams.
Irgendwann waren wir wieder nur zu dritt. Zwar mit neuen Leuten, aber dennoch zu dritt. Und zu dem Zeitpunkt konnten wir uns nicht vorstellen, wieder von vorne anzufangen.
Was nehmen wir mit in unsere nächsten Betriebe?
Viel Übung in Vier-Augen-Gesprächen.
Was würden wir anders machen?
Wir würden den Fokus auf eine umfassende Repräsentation der Teams verwerfen. Wir hatten sehr viel Energie darein gesteckt, Kolleg*innen aus allen Teams kennenzulernen und einzuladen und uns vorgemacht, erst in Aktion treten zu können, wenn wir „für alle sprechen könnten“. Wir würden uns jetzt auf die uns nächsten Teams konzentrieren und auf die Kacke hauen. Die Treffen mit Ver.di und dem BR waren fruchtlos, frustrierend, blockierend. Wir würden sie beschnuppern und womöglich schnell rechts liegen lassen. Oder auch nicht, wenn sie Schmackes haben.