IWW Leipzig: Redebeitrag zum 1. Mai

on Mai 10, 2024 1.Mai with 0 comments

Der Redebeitrag der IWW Leipzig für die bunte 1. Mai-Demo unter dem Motto „Revolution ist Alltagssache“:

Heraus zum 1. Mai – das Private ist Politisch

Der 1. Mai ist ein traditionsreicher Tag und auch Anarchist*innen und Kommunist*innen neigen zu solchen Anlässen dazu, ein Tränchen oder zwei auf die alten Genoss*innen, ihre Kämpfe und den revolutionären Spirit der „guten alten Zeit“ zu vergießen. Aber das wollen wir euch heute ersparen. Denn es gibt genug zum Heute und zum Morgen zu sagen… Vieles hat sich geändert seit den Anfängen der revolutionären Arbeiter*innenbewegung, aber eine Sache ist doch gleich geblieben:
Lohnarbeit im Kapitalismus ist Ausbeutung. Ausbeutung, von der Unternehmen und Unternehmer*innen profitieren und unter der Arbeiter*innen leiden. Und kein Tischfußball im Pausenraum, kein Limo-Kühlschrank und kein Du mit dem oder der Chef*in ändern daran etwas. Eure Chef*innen wissen das, und ihr wisst das auch; spätestens dann, wenn ihr euch krank zur Arbeit schleppen sollt oder auf Sozialen Medien etwas zu kritisch gegenüber der Firma wart. Und allerspätestens, wenn euer Lohn gekürzt oder eure Stelle gestrichen wird, damit Profit und Boni weiter fließen können.
Wir von der IWW wissen das auch, weswegen wir uns nach dem Grundsatz organisieren, dass die Klasse der Arbeiter*innen und die Klasse der Unternehmer*innen nichts gemeinsam haben und die Ausbeutung durch das Lohnsystem überwunden werden muss. Dabei ist es uns wichtig, uns nicht spalten zu lassen. Nicht nach Branchen oder Jobtiteln, nicht durch Landesgrenzen, und tatsächlich nicht einmal durch das Haben oder Nichthaben einer Erwerbsarbeit. Egal, ob Arbeiter*innen, Vollzeit-Lernende, Erwerbslose, Rentner*innen oder sonstiges – Organisation und revolutionäre Alltagsarbeit geht alle an. Denn Gewerkschaft, zumal revolutionäre, emanzipatorische Gewerkschaft, ist längst viel mehr als das Durchsetzen von Interessen im Betrieb (auch wenn das keineswegs zu vernachlässigen ist!).
Revolutionär-gewerkschaftliches Organizing ist Alltagssache. Stress mit Vermieter*in oder Hausverwaltung? Organisiert euch mit euren Nachbar*innen im Haus, um dem etwas entgegenzusetzen. Euer Viertel hat jetzt eine Geflüchtetenunterkunft, die den alteingesessenen Kartoffeln nicht passt? Seid solidarisch, vernetzt euch, bildet eine Gemeinschaft gegen Hass und Intoleranz. „Das Private ist politisch“ hieß es in den 70ern und so ist es noch immer. Es gibt oft viel mehr politische Aspekte im Alltag als man denkt – und welch besserer Anlass, dies immer wieder ins Gedächtnis zu rufen als der Erste Mai?

 


Hinein in die Betriebe   

 

Aber lasst uns noch einmal zur Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben zurückkommen. Was unterscheidet uns als revolutionäre Basisgewerkschaften, die IWW ebenso wie die FAU, von etablierten Gewerkschaften? Den Kern unserer Betriebsarbeit bilden basisdemokratische Betriebsgruppen. Das heißt: Es sind nicht bezahlte Gewerkschaftsfunktionär*innen, die entscheiden, welche Probleme gemeinsam angegangen werden sollen und wie und welches Kompromissergebnis als Erfolg dargestellt wird. Ihr selber seid es, die all das entscheiden. Im Mittelpunkt steht ihr, eure Kolleg*innen und eure Solidarität zueinander. Was wir vor allem beisteuern, ist Erfahrungswissen. Also Wissen dazu wie ihr solidarische Verbindungen an eurem Arbeitsplatz aufbauen und aufrecht erhalten könnt und welche Mittel sich in Arbeitskämpfen bewährt haben.

 

Und der 1. Mai? Der 1. Mai ist vor allem auch immer wieder ein Anlass nach den Konjunkturen von Arbeitskämpfen zu schauen, nach Lichtblicken zu suchen und Niederlagen zu reflektieren. Er ist ein Anlass, sich auszutauschen, und die – vor Ort und weltweit – gewonnenen Erfahrungen auszuwerten und weiterzugeben. Wichtig dafür ist eine experimentierfreudige Kultur und eine selbstkritische strategische Debatte in der eigenen Organisation zuzulassen. Gerade solch eine Offenheit in der Suche nach solidarischen Formen des Organisierens gehören zu den in der IWW geteilten Grundsätzen – und sind wohl ihre größte Stärke. Auch deshalb hat die IWW, außer ihrem Grundsatz des *klassenkämpferischen* und *basisdemokratischen* Organizens, kein politisches Label und versucht auch immer wieder neu auf die sich ändernden Bedingungen der Lohnarbeit und Ausbeutung die richtigen Antworten zu finden.

 

Die eigene Praxis reflektieren

 

Seit der Gründung der IWW im deutschsprachigen Raum haben wir uns hierbei besonders an den Erfahrungen der Genoss*innen in Nordamerika orientiert und von den Wobblies in den USA und Kanada viel an Methodik, Struktur und Taktik übernommen. Wie aber die Erfahrungen der Betriebsgruppen- und Kampagnenarbeit mit unseren Strategien zusammenhängen, ist nicht immer einsichtig. Warum halten wir an der Idee der Direkten Aktion fest? Warum soll es überhaupt Betriebsgruppen und nicht einfach nur Betriebsräte geben? Warum haben wir keine bezahlten Funktionär*innen? Solchen Fragen sind Wobblies aus der deutschsprachigen IWW im letzten Jahr nachgegangen und haben hierzu ein Buch mit dem Titel „Spuren der Solidarität“ veröffentlicht. 
Dieses Buch geht davon aus, dass auch in den fremd bestimmten Beziehungen der Lohnarbeit, immer wieder Solidarität auftaucht und fragt  danach, unter welchen Umständen solidarische Momente entstehen und wie wir diese Momente ausbauen und nutzen können, um Machtverhältnisse am Arbeitsplatz zu ändern. Es geht in diesem Buch um unsere betriebliche Praxis, das heißt um die erfolgreichen und erfolglosen Versuche, Solidarität zu stärken und auszubauen.

Anhand konkreter Beispiele reflektieren IWW-Mitglieder vergangene und aktuelle Kampagnen und die hier probierten und auch mitunter verworfenen Strategien und Taktiken. So werden im Buch beispielsweise unsere Erfahrungen mit dem sogenannten Salting oder mit Doppelmitgliedschaften besprochen. Es wird diskutiert, wann eine Kampagne an die Öffentlichkeit gehen sollte und ob sich die Organisierung von sogenannten Hot Shops lohnt. Wir wollen stärker in die Debatte einsteigen, was uns von den sozialdemokratischen Mainstream-Gewerkschaften – abgesehen von einer Symbolik und Rhetorik – tatsächlich unterscheidet. Wir wollen ehrlich die Schwierigkeiten des politischen Alltags reflektieren, beispielsweise die Herausforderungen basisdemokratischer Entscheidungsstrukturen.

 

 


Für einen gemeinsamen Austausch

 

All diese Momente und viele andere sind für uns als Wobblies relevant. Damit ist das Buch „Spuren der Solidarität“ Teil unseres IWW Bildungsprogramms und begleitet unsere Organizing-Trainings. Das Buch soll aber auch ein Beitrag sein zur Suchbewegung innerhalb der Gewerkschaftslinken – weswegen wir euch heute so breit davon berichten. Denn wir halten es für wichtig, dass wir – als antikapitalistische Linke – gemeinsam an der Vorstellung von einer Gewerkschaft, die nicht an rechtlichen Grenzen Halt macht, sondern auf Selbstorganisation der Kolleg*innen setzt, arbeiten.
Solch ein gemeinsamer strategischer Austausch darüber, warum wir welche Methoden nutzen, wie diese Methoden entstanden sind und welche Vor- und Nachteile sie haben, fand bislang nicht oder nur selten – und schon gar organisationsübergreifend – statt. Darum lasst uns die Suche nach Erfolgsstrategien stärker gemeinsam führen. Zur der nun geöffneten Diskussion laden wir explizit nicht nur Wobblies ein. Sprecht uns also an, besucht den zum Buch gehörigen Blog oder kommt zur Buchvorstellung, die im Herbst diesen Jahres mit den Herausgeber*innen auch in Leipzig stattfinden wird.

 

In diesem Sinne: Solidarity for ever.

 

Die IWW Leipzig

 

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