Frankfurt a.M.: Verdeckte Leiharbeit bei der Kinderbetreuung im Taunus

on April 10, 2021 Betriebsarbeit with 0 comments

Interview mit dem ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden und IWW-Mitglied Harald Stubbe zu verdeckter Leiharbeit, Arbeitsbedingungen, seiner Klage gegen den Landkreis und den Möglichkeiten von Betriebsratsarbeit.

Harald, Du warst bis zu Deinem Renteneintritt Anfang 2021 bei der Kinderbetreuung im Taunus GmbH (KiT) als Teilhabeassistent beschäftigt. Was ist das für ein Unternehmen?

Bei der Kinderbetreuung im Taunus GmbH(KiT) handelt es sich um ein Unternehmen, das Kindertagesstätten und Betreuungscentren an über 50 Standorten betreibt. Außerdem beschäftigt sie Teilhabeassistent*innen bzw. Integrationshelfer*innen, die an über 50 Schulen im Hochtaunuskreis behinderte Kinder betreuen. Zudem gibt es bei der KiT auch Küchen- und Hauswirtschaftskräfte. Insgesamt sind dort über 700 Leute beschäftigt.

Im Dezember hast Du vor dem Gericht eine Klage gegen Deinen Arbeitgeber eingereicht. Worum geht es dabei?

Die Teilhabeassistent*innen arbeiten in den Schulen nach den Vorgaben der Schulleitung bzw. der Lehrkräfte.

Wer sich mit dem Arbeitsrecht auskennt hat sofort den Verdacht, dass es sich um Leiharbeit handelt.

Was hast Du daraufhin unternommen? Du warst ja bis Ende 2020 Vorsitzender des im Mai frisch gewählten Betriebsrates. Hat Dir das dabei geholfen, der verdeckten Leiharbeit auf die Spur zu kommen?

Als Betriebsratsvorsitzender bekommt man leicht Auskunft. Also habe ich bei der Agentur für Arbeit angefragt. Diese bejaht in diesem Fall eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung. Die haben gedacht, ich sei von der Geschäftsführung und haben mir dringend nahegelegt, die Leiharbeitsverhältnisse sofort ordnungsgemäß anzumelden, weil die Firma sich sonst strafbar macht.

Dann habe ich das recherchiert, mit der Leiharbeit. Ich hatte das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz als Anhaltspunkt. Im Internet kannst Du zwar die Gesetzestexte finden, aber da hast Du keine Kommentare. Wenn Du Betriebsrat bist, dann lässt Du Dir die Bücher alle antanzen – bezahlen muss die der Arbeitgeber. Wir haben da jetzt eine richtige Bibliothek, die füllt schon einen ganzen Schrank. Da kannst Du nachlesen, wenn Dich was interessiert. Auch die Kommentare, denn ohne Kommentare nutzen Dir die ganzen Gesetzestexte nichts.

Was hat Deine Recherchearbeit konkret ergeben?

Laut meinem Arbeitsvertrag wurde ich von der Kinderbetreuung im Taunus GmbH (KiT) als „Integrationshelfer“ eingestellt. De facto wurde ich dann aber durch die Kinderbetreuung im Taunus GmbH im Sinne der Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) an die Helene-Keller-Schule in Oberursel zur Arbeitsleistung überlassen.

Anders als im Arbeitsvertrag angegeben, trat nämlich nicht die KiT, sondern die Schulleitung der Helene-Keller-Schule als weisungsbefugter Vorgesetzter auf. So erfolgten zum Beispiel Absprachen zum Einsatz sowie Krankmeldungen nur schulintern, ohne den Vertragsarbeitgeber die Kinderbetreuung im Taunus.

Auch das Bewerbungsgespräch habe ich mit der Schulleitung geführt und nicht mit der KiT.

Im Arbeitsalltag sind die Integrationshelfer*innen voll und ganz in die Arbeitsorganisation der Schule eingegliedert.

Grundsätzlich ist es Aufgabe von Integrationshelfer*innen, Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen oder geistigen oder körperlichen Behinderungen individuell im Schulalltag zu begleiten und zu unterstützen.

In der Praxis sind die Integrationshelfer*innen nicht nur für ein Kind zuständig, sondern sie übernehmen Unterstützungstätigkeiten für die gesamte Klasse. So gehört es auch zu ihren Aufgaben, Tee zu kochen, Obst vorzubereiten, den Stuhlkreis zu stellen; Schüler*innen vom Bus abzuholen, Schüler*innen bei Toilettengängen zu unterstützen, das Klassenfrühstück zu organisieren, die Überprüfung der Haltbarkeit von Nahrungsmitteln, das Auffüllen von Papier und Seife, die Bereitstellung von Einweghandschuhen und Desinfektionsmitteln, sowie das Desinfizieren von Tischen und Türklinken.

Auch führt die Schulleitung regelmäßig Konferenzen für alle Integrationshelfer*innen/Teilhabeassistent*innen durch und stellt ihnen zur Aufzeichnung ihrer Stunden eigene Zeiterfassungsbelege zur Verfügung. Das sind weitere Indizien dafür, dass Integrationshelfer*innen de facto ein Arbeitsverhältnis mit der Schule haben, an der sie beschäftigt sind – und eben nicht mit ihrem angeblichen Arbeitgeber, der KiT.

Mit der KiT hatte ich (nämlich) in den ersten beiden Jahren meiner Beschäftigung nur in der Art Kontakt, dass ich meine Bewerbungsunterlagen dorthin geschickt habe, von dort meinen Arbeitsvertrag erhielt und die Gehaltsabrechnungen von dort erstellt wurden.

Ich war also als Leiharbeiter an der Helene-Keller-Schule beschäftigt, an die ich durch die KiT, bei der ich den Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, „zur Arbeitsleistung überlassen“ – also verliehen – wurde.

Und das ist illegal?

Es ist davon auszugehen, dass die Kinderbetreuung im Taunus GmbH keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) hat. Es handelt sich also offensichtlich um eine „unzulässige Arbeitnehmerüberlassung“.

Nach dem § 9 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) führen aber sowohl die Verleihung von Arbeitnehmer*innen ohne die gesetzliche Erlaubnis, als auch Arbeitsverträge ohne die ausdrückliche Bezeichnung als Verträge über Arbeitnehmerüberlassung zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsverhältnisses.

Was bedeutet das in der Konsequenz?

Im Juristendeutsch ausgedrückt bedeutet das, dass als Rechtsfolge der Unwirksamkeit nach § 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher*in und Arbeitnehmer*innen besteht. Das heißt erstens, die Teilhabeassistent*innen haben Anspruch auf die Zahlung des Tariflohnes an öffentlichen Schulen. Zweitens sind sie, wenn sie länger als 18 Monate in einer Schule gearbeitet haben, Angestellte der Schule. Eventuell wird der Tariflohn auch rückwirkend zugesprochen.

In Anbetracht der Tatsache, dass Integrationshelfer*innen nur knapp über Mindestlohn verdienen, würde das für über 300 bisher prekär Beschäftigte auf einen Schlag eine beträchtliche Einkommensverbesserung bedeuten!

Wie hat die Geschäftsleitung der KiT reagiert?

Wir hatten dabei den Vorteil, dass die Geschäftsführerin null Ahnung von dem Sachverhalt hatte. Die war im Prinzip genauso unwissend wie der Betriebsrat zunächst. Nachdem ich den Fall recherchiert hatte, war es ziemlich klar. Die Geschäftsführerin hat mich dann ständig angerufen, und gefragt, was sie machen soll, um aus der Geschichte rauszukommen. Die wusste ja selbst nicht, dass die KiT da etwas macht, das eigentlich illegal ist.

Geklagt hast Du nicht gegen Deinen Arbeitgeber, die KiT, sondern gegen den Hochtaunuskreis. Warum das?

Die KiT gehört zu 100% dem Hochtaunuskreis. Der Kreis ist der einzige Anteilseigner an dieser GmbH, ist also der Eigentümer der KiT. Die Helen-Keller- Schule ist auch ein kreiseigene Schule. Die Kunden der KiT GmbH sind das Jugendamt, und die Behindertenhilfe des Kreises. Der Hochtaunuskreis ist also gleichzeitig Eigentümer und Kunde der KiT GmbH. Das Konstrukt wurde geschaffen, weil der Hochtaunuskreis der Tarifpflicht unterliegt. Die KiT wurde vom Hochtaunuskreis, einem der reichsten Landkreise in Deutschland, gegründet unter anderem mit der Absicht, tarifpolitische Regelungen zu umgehen, das heißt, um keine Tariflöhne zahlen zu müssen.

Das bedeutet für die Integrationshelfer*innen, dass sie vielen Kindern den Schulbesuch ermöglichen, womit sie wertvolle Arbeit für deren Familien und die ganze Gesellschaft leisten. Dafür werden sie lediglich knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt. Das an sich ist schon ein handfester Skandal. Für Leute, die vor 20 Jahren von der KiT eingestellt wurden, und die z.B. 12 Euro und damit mehr als den später eingeführten Mindestlohn von 9.50 die Stunde gekriegt haben, bedeutet das, dass die 20 Jahre lang keine Lohnerhöhung hatten. Denn Lohnerhöhungen gibt es nur, wenn der Mindestlohn steigt. Die Leute, die über dem Mindestlohn liegen, haben also nie eine Lohnerhöhung erhalten. Das ist eine perverse Geschichte.

Nebenbei ist es natürlich ein Skandal, weil ja sowohl der verleihende Betrieb (die KiT) wie auch der entleihende (die Helen-Keller-Schule), die ja beide dem Hochtaunuskreis gehören, sich strafbar gemacht haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Am 9. Juni findet der Kammertermin vor dem Arbeitsgericht statt. Wenn ich gewinne, werde ich allen Kolleg*innen raten, auch zu klagen. Das würde zu einer regelrechten Prozesslawine führen und im Erfolgsfall zu deutlichen Einkommenssteigerungen für die Teilhabeassistent*innen bzw. Integrationshelfer*innen.

Fanden auch öffentliche Aktionen statt?

Am 26. Februar war der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Frankfurt. In der Woche drauf erschien ein Artikel in der Taunus Zeitung, in dem der Fall umfassend dargestellt wurde – sehr positiv aus Sicht der Beschäftigten.1

Am 08. März, dem internationalen Frauen*kampftag fand um 15.30 Uhr auf dem Waisenhausplatz in Bad Homburg unter dem Motto: „Warum bezahlt Ihr den Menschen, die auf eure Kinder aufpassen, nicht das gleiche wie denen, die auf euer Geld aufpassen eine von mir angemeldete Demonstration für deutlich höhere Löhne und einen Tarifvertrag für die Teilhabeassistent*innen statt. Sogar die stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen hielt eine Rede. Damit konnten wir unseren Forderungen öffentlich Nachdruck verleihen. Auch bei dieser Demo war die Presse vor Ort. Damit wurden die skandalösen Zustände bei der KiT und die berechtigten Forderungen der Beschäftigten öffentlich gemacht.2

 

Rede der stellvertretenden Landesvorsitzenden der GEW Hessen, auf der Frauenkampf*tagsdemo in Bad Homburg am 08.03.2021

 

Hat die Demonstration denn ganz konkret etwas bewirkt?

Das hat sie in der Tat! Bereits drei Tage später hat die KiT Tarifverhandlungen angeboten! Die müssen nun natürlich konsequent im Sinne der Beschäftigten geführt werden. Da müssen wir Druck auf die GEW ausüben und die Angelegenheit weiterhin öffentlich bekannt machen.

Das hört sich ja nicht schlecht an. Wenn Du auf Deine Zeit als Betriebsratsvorsitzender zurückblickst, was konntet Ihr denn seit der Betriebsratswahl Ende April 20203 an Verbesserungen für die Kolleg*innen erreichen?

Das allererste, was wir bei der Kinderbetreuung im Taunus gemacht haben im Betriebsrat: Wir haben ein interne Stellenausschreibung verlangt. Und wenn der Betriebsrat das verlangt, dann muss das gemacht werden. Das heißt, dass wenn Leute, die an irgendeiner Schule arbeiten, wo sie hingesteckt wurden, in einer internen Stellenausschreibung lesen, dass an der Schule in der Nähe ihres Wohnorts jemand gesucht wird, dann können die sich intern bewerben und sparen sich die Fahrtkosten. Das war dann schonmal ein Signal: Wir kriegen plötzlich die interne Stellenausschreibung. Ansonsten wars ja Glück, wenn man in der Zeitung von einer passenden Stelle gelesen hat.

Ebenfalls sofort habe ich als Betriebsratsvorsitzender eine Betriebsvereinbarung zum Gesundheitsschutz für die Kolleg*innen abgeschlossen. Das war besonders wichtig, da wir Teilhabeassistent*innen gar keinen Abstand zu den Kindern, die wir betreuen, halten können – Corona hin – Corona her. Seitdem bekommen die Beschäftigten medizinische Schutzmasken vom Arbeitgeber – ursprünglich sollten sie sich die selber kaufen, oder sich Tücher vors Gesicht binden. Alle 70 Minuten haben die Leute dann Anspruch auf eine Pause, in der sie die Masken auch abnehmen können. Außerdem muss der Arbeitgeber für bestimmte Tätigkeiten Schutzkleidung zur Verfügung stellen.

Als nächstes hat der Betriebsrat den Beschäftigten geraten, Überlastungsanzeigen an den Arbeitgeber zu schicken.

Was darf ich mir unter einer Überlastungsanzeige vorstellen?

Zeitweise war die Personaldecke infolge von Krankheiten etc. extrem dünn. Es gab öfter Situationen, in denen manche Kolleginnen 60 Kinder gleichzeitig betreuen mussten. Das schafft man ja gar nicht. Die meisten Leute trauen sich dann ja nicht, sich bei der Geschäftsleitung zu beschweren. Wenn dann etwas passiert – im schlimmsten Fall ein Kind zu Tode kommt – weil man nicht aufgepasst hat – nicht aufpassen konnte! -, dann sagt der Staatsanwalt „Sie als Fachkraft hätten wissen müssen, dass sie nicht allein auf 40 bis 60 Kinder aufpassen können. Warum haben Sie nichts dagegen unternommen?“ Dann steht man als Betreuungskraft voll in der Verantwortung, wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Der Betriebsrat hat dann den Leuten empfohlen, Überlastungsanzeigen an den Arbeitgeber zu schicken. Wenn Du als Beschäftigter eine Überlastungsanzeige schreibst und an den Arbeitgeber schickst, teilst Du ihm mit, dass Du überlastet bist und die Arbeit nicht ordnungsgemäß durchführen kannst. Wenn der Arbeitgeber dann nicht reagiert, die Zustände nicht abstellt, dann trägt der die Verantwortung, wenn etwas passiert. Sonst können die sagen „Wir wussten ja gar nicht, dass ihr überlastet seid.“

Das wissen die meisten Leute nicht. Vor allem im Betreuungs- und Pflegebereich sind die Arbeitskräfte immer mit einem Bein im Gefängnis. Dadurch, dass es einen Betriebsrat gibt, beklagen sich die Leute beim Betriebsrat, denn die meisten trauen sich ja nicht, sich bei der Geschäftsleitung zu beklagen. Wenn der Betriebsrat sie auf die möglichen Konsequenzen der Überlastung hinweist, ist die Angst davor dann größer als die Angst vor der Geschäftsleitung. Dann schicken sie dem Arbeitgeber eine Überlastungsanzeige und sind aus dem Schneider, wenn etwas passiert.

Die Überlastung und zunehmender Arbeitsdruck sind ja weitverbreitete Probleme – vor allem auch im sozialen Bereich. Was konntet Ihr als Betriebsrat noch erreichen, um die Situation der Beschäftigten zu verbessern?

Ein weiteres Problem waren die Dienstpläne. Die wurden von der Geschäftsleitung oft viermal die Woche, ohne Rücksicht auf die Beschäftigten, geändert. Das konnte der Betriebsrat aufgrund seiner Mitbestimmungsrechte abstellen.

In etlichen Fällen habe ich Kolleginnen zu Gesprächen mit Vorgesetzten begleitet. In nahezu allen Fällen konnten Konflikte im Sinne der Kolleginnen beigelegt werden. Eine Kollegin war an einer anderen Schule in der Küche und da ging es ihr nicht gut. Die Geschäftsleitung wollte der Frau kündigen und da habe ich gesagt, „nein, die Kollegin wird nicht gekündigt, die kann auf eine andere Stelle versetzt werden.“ Jetzt arbeitet sie als Teilhabeassistentin; die Arbeit mit den Kindern gefällt ihr wesentlich besser.

Der Betriebsrat erfährt, was an den verschiedenen Schulen, wo Kolleginnen von der Kinderbetreuung tätig sind, los ist. Häufig weiß man ja noch nicht mal, was in einem Betrieb in einer anderen Abteilung los ist – man kennt die Leute meistens ja gar nicht. Als Betriebsrat dagegen hast du Informationsrechte. Der Betrieb, die Firma, muss dich informieren. Jede Einstellung, jede Kündigung ist ungültig, wenn der Betriebsrat nicht vorher gehört wird.

Das sind alles Sachen, die man als Betriebsrat machen kann. Viele kleine Sachen, die aber für die Einzelnen ganz wichtig sind. Wenn man nur eine Kündigung verhindern kann, allein dafür lohnt es sich doch schon.

Bei der Kinderbetreuung im Taunus haben wir sehr unterschiedliche Löhne. Wir haben dann Einsicht in die Bruttolohnliste genommen. Das Recht hast Du als Betriebsrat. Da haben wir festgestellt, dass es gravierende Unterschiede gibt. Und dann hat der Betriebsrat das Recht, Entlohnungsgrundsätze aufzustellen. Da kann man den Arbeitgebern sagen: „Wenn ihr unterschiedlich bezahlen wollt, dann müsst ihr das begründen.“ Wenn jemand neu anfängt, dann verdient sie/er vielleicht weniger, aber nach zwei Jahren kriegt sie/er dann mehr – und nicht einfach nach dem Motto: „dem seine Nase gefällt mir, der ihre Nase gefällt mir nicht“

Als letztes hab ich angeleiert – ich hoffe, dass meine Nachfolger*innen es jetzt durchziehen – dass im Monat 10 Euro Kontoführungsgebühren bezahlt werden. Ich habe dann gesagt, dass es die 10 Euro nicht im Monat geben soll, sondern dass die Leute im November 120 Euro bekommen – wie eine Art Weihnachtsgeld. Das ist zwar auch nicht viel, aber besser als gar nichts – vor allem wenn die Löhne ohnehin niedrig sind.

Im Mai 2020 wurde aufgrund der behördlich angeordneten Schulschließungen Kurzarbeit bei der KiT eingeführt. Das war noch vor der konstituierenden Sitzung des Betriebsrates. Ihr konntet also das Mitbestimmungsrecht in dieser Frage noch nicht ausüben. Konntet ihr trotzdem etwas für die betroffenen Kolleg*innen erreichen?

Als im Mai 2020 die Kurzarbeit eingeführt wurde, sind wir sofort an die Presse gegangen, haben das publik gemacht und verlangt, dass der Kreis 80% statt der vorgeschriebenen 60% als Kurzarbeitergeld bezahlt.

Konntet Ihr im Zusammenhang mit den Schulschließungen auch etwas für die 450-Euro-Beschäftigten erreichen? Die haben ja keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld und würden also gar nichts bekommen. Bei der KiT betrifft das ja circa 300 Leute – also fast die Hälfte der Belegschaft.

Wir konnten erreichen, dass die auf 450-Euro-Basis beschäftigten Kolleg*innen während der Schulschließungen nicht entlassen wurden. Damit mussten sie auch weiter bezahlt werden. Ansonsten hätte ihnen ordnungsgemäß, unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen, gekündigt werden müssen und natürlich so lange weiter bezahlt werden, bis die Kündigung wirksam gewesen wäre. Das habe ich der Geschäftsleitung mitgeteilt. Wenn der Arbeitgeber nicht ordnungsgemäß kündigt, gerät er in „Annahmeverzug“ und muss die Leute weiterbezahlen.

Dann konntet Ihr in dieser schwierigen Zeit, in der Arbeitnehmer*innenrechte vielfach abgebaut werden, einiges erreichen. Du würdest also Beschäftigten, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, dringend raten einen Betriebsrat zu gründen?

Auf jeden Fall! Ein Betriebsrat hat so viele Rechte und Möglichkeiten auf die man auf keinen Fall verzichten sollte! Zugespitzt könnte man sagen: Wer keinen Betriebsrat will, der will nicht wirklich etwas für die Leute tun. Der will sich selbst profilieren und feiern lassen und wenn er wirklich was macht, wird er rausgeschmissen.Wenn man die Möglichkeiten, die ein Betriebsrat hat, konsequent nutzt, dann kommt auch was dabei raus.

Ortsgruppe Bochum/Ruhrgebiet

Ortsgruppe Frankfurt

Die Fragen stellte: gregor (GMB Bochum/Ruhrgebiet)

Kontakt: bochum@wobblies.org bzw. frankfurt@wobblies.org

»Nächster Termin: 09. Juni Kammertermin am Arbeitsgericht Frankfurt in Sachen Harald Stubbes Klage wegen verdeckter Leiharbeit«

 


Anmerkung 1: „Früherer Integrationshelfer klagt gegen den Kreis“ (Taunus Zeitung 02.03.2021)

Anmerkung 2: Unter der Überschrift „ Für eine gerechte Bezahlung“ wurde in der Taunus Zeitung über die Einzelklage des Kollegen und Ihre Bedeutung für hunderte von Beschäftigten, über die Protestaktion am 8. März, sowie darüber, dass der Landkreis eine öffentliche Stellungnahme zum Prozess und den Zuständen in der Kreiseigenen KIT GmbH ablehnt, berichtet.(Quelle: Taunus Zeitung,) Ein weiterer Artikel über die Demonstration erschien unter dem Titel „KiT-Mitarbeiter demonstrieren für mehr Lohn“ am selben Tag im Bad Homburger Kurier.

Anmerkung 3: In diesem Interview erläutert Harald Stubbe die Umstände der Betriebsratsgründung im Frühjahr 2020.

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